Sicherheit in Europa

Eine politische Analyse über Bosnien und Herzegowina


Wer glaubt, dass eine - von internationalen Akteuren favorisierte - Verfassungsänderung (welche?) von Bosnien und Herzegowina (BIH) die sozialen und wirtschaftlichen Probleme löst, ist nicht gut beraten.

BIHSollte es sich (nur) um das zusätzliche passive Wahlrecht zur Präsidentschaft von Kandidaten ethnischer Minderheiten (z.B. Roma und jüdische Bürger) handeln, gälte es eine entsprechende Wahlrechtsreform auszuarbeiten und zu beschließen. Dies wäre ein wichtiger Schritt im Sinne der Menschenrechte. Denn derzeit sind für die Präsidentschaft des Gesamtstaates nur die Kandidaten der drei konstituierenden Volksgruppen (kroatische, serbische und bosniakische Bürger) mit rotierendem Vorsitz wählbar.

Sollte es sich jedoch um die Entmachtung oder gar Abschaffung der beiden sogenannten ‚Entitäten‘ (eine Art autonomer Provinzen) handeln, nämlich der ‚Republika Srspka‘ und der ‚Föderation von Bosnien und Herzegowina‘, würde man die elementaren Faktoren, die zur Formulierung der Verfassung im Dayton Vertrag führten, in Frage stellen. Man würde ein gewaltiges Sicherheitsrisiko für die ganze Region eingehen, wenn dies nicht mit Zustimmung der beiden Entitäten erfolgen würde, statt die durch Dayton eingeleitete weitere Stabilisierung zu erzielen.


Wer glaubt, dass eine - von internationalen Akteuren favorisierte - Verfassungsänderung (welche?) von Bosnien und Herzegowina (BIH) die sozialen und wirtschaftlichen Probleme löst, ist nicht gut beraten.

Sollte es sich (nur) um das zusätzliche passive Wahlrecht zur Präsidentschaft von Kandidaten ethnischer Minderheiten (z.B. Roma und jüdische Bürger) handeln, gälte es eine entsprechende Wahlrechtsreform auszuarbeiten und zu beschließen. Dies wäre ein wichtiger Schritt im Sinne der Menschenrechte. Denn derzeit sind für die Präsidentschaft des Gesamtstaates nur die Kandidaten der drei konstituierenden Volksgruppen (kroatische, serbische und bosniakische Bürger) mit rotierendem Vorsitz wählbar.

Sollte es sich jedoch um die Entmachtung oder gar Abschaffung der beiden sogenannten ‚Entitäten‘ (eine Art autonomer Provinzen) handeln, nämlich der ‚Republika Srspka‘ und der ‚Föderation von Bosnien und Herzegowina‘, würde man die elementaren Faktoren, die zur Formulierung der Verfassung im Dayton Vertrag führten, in Frage stellen. Man würde ein gewaltiges Sicherheitsrisiko für die ganze Region eingehen, wenn dies nicht mit Zustimmung der beiden Entitüten erfolgen würde, statt die durch Dayton eingeleitete weitere Stabilisierung zu erzielen.

Botschafter Dr. Valentin Inzko, Hoher Repr�sentant f�r BiH;  Foto: OHRÖsterreicher in den höchsten internationalen Positionen


In Bosnien und Herzegowina selbst agiert der österreichische Spitzendiplomat Valentin Inzko in der Funktion des ‚Hohen Repräsentanten‘ des internationalen ‚Peace Implementation Councils‘. Botschafter Inzko ist ein profunder Kenner und auch Analyst der Situation in BIH. Er muss in dieser Funktion einerseits den von den USA und von europäischen Staaten geforderten Ruf nach Verfassungsmodifikation durch Veränderung des Dayton-Vertrages ansprechen, weiß aber ganz genau, dass er den bestehenden zivilen Teil des Dayton Vertrages nicht nur beachten, sondern auch konsequent einfordern muss. Darüber hinaus weiß er auch, dass die Berücksichtigung der ethnischen Befindlichkeiten im Lande zur Erhaltung des Friedens und der Rechtsstaatlichkeit zu beachten sind. Eine von internationaler Seite erzwungene Verfassungsänderung würde ein enormes Sicherheitsrisiko bedeuten. Das hieße auch die demokratisch notwendige Übertragung der politischen Verantwortung an die regionalen und lokalen Institutionen hintanzuhalten.

 Generalmajor Mag. Dieter Heidecker, Kdt EUFOR Foto: bmlv.gv.at Der militärische Teil des Dayton Vertrages wird derzeit ebenfalls von einem Österreicher beachtet und sichergestellt. Der österreichische Generalmajor Dieter Heidecker ist ein Spitzenmilitär mit beachtlicher Auslandserfahrung. Er hat als Kommandant der EUFOR-Althea Truppen insbesondere fär die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung (‚safe and secure environment‘) zu sorgen. Eine Ausweitung der kürzlichen gewaltsamen Demonstrationen im Lande könnte den Einsatz der EU Truppen erfordern. Die derzeit an Ort und Stelle befindlichen Kräfte scheinen zwar schwach, könnten aber rasch durch ‚Operational Reserve Forces‘ (ORF) verstärkt werden. Auch das in Sarajewo stationierte NATO Kommando könnte hier dienlich sein. Jedenfalls wäre ein Einsatz von BIH-Truppen gegen eigene Bevölkerungsteile eher unwahrscheinlich; er wäre zumindest unklug.


Kernpunkte

Dayton war nicht ‚nur‘ ein Friedensvertrag – wie jetzt oftmals behauptet wird, Dayton war zusätzlich eine ‚Zukunftsvereinbarung‘ mit einer detailliertest ausgearbeiteten Verfassung, sowie konkreten Bestimmungen zu den internen Landes-(Entitäts)grenzen, den Wahlen, Schiedsgerichten, Flüchtlingen und Vertrieben, kulturellen und religiösen historischen Monumente, und staatlichen Unternehmungen.

Um die Implementierung voranzutreiben, etablierte das ‚Peace Implementation Council‘ eine Reihe von ‚Task Forces‘ zur Aktivierung der Wirtschaft, der Rückkehr und des Wiederaufbaus, des Rechts, des Aufbaus von Institutionen, sowie der Verteidigung und Sicherheit. Das wären die Instrumente zur implementierten und stabilisierten Entwicklung des Landes gewesen. Die Ergebnisse sind weitgehend ernüchternd, da man sich viel zu wenig um die Weitergabe der finanziellen und materiellen Hilfsleistungen an die Bevölkerung selbst gekümmert hat. Der Fokus war viel zu sehr auf die politischen Akteure, die Parteien und die damit zusammenhängenden Machtstrukturen gerichtet, statt auf die Bevölkerung.

Problem: Man kann eben nicht von internationaler Seite ein Vertragswerk ausarbeiten und von drei Staaten (Kroatien, Serbien und Bosnien) beschließen und unterzeichnen lassen, und nur zehn Jahre später - unter der Führung der USA - zu beginnen, die wesentlichsten Teile des Vertrags, den Aufbau des Staates, ändern zu wollen. Seit der Unterzeichnung, Ende 1995 bis Heute, ist es Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft (besonders mit dem ‚Hohen Repräsentanten‘ und dem jeweiligen militärischen Kommando) die genaue Einhaltung des Dayton Vertrages zu gewährleisten. In vielen Fällen wurden deshalb auch einheimische Politiker durch Absetzung ‚bestraft‘, wenn sie Dayton Vertragspunkte nicht eingehalten hatten.

Der Hohe Repräsentant, Botschafter Valentin Inzko, folgt auch der Erklärung des Verfassungsgerichts von BIH aus dem Jahre 2004. Darin lautet es, dass es das „legitime Recht der bosniakischen und kroatischen Bevölkerung in der Föderation von BIH, sowie der serbischen Bevölkerung in der Republika Srpska ist, ihre Tradition, Kultur und Identität durch legislative Mechanismen zu bewahren …“. Ebenda wird auch gefordert, dass in dieser Frage gleiches Recht für alle zu gelten hat.

Es ist dabei klar, dass dabei in erster Linie das Augenmerk dem Wohlergehen der Menschen und Bevölkerungsgruppen im Sinne der Menschenrechte und der wirtschaftlichen Sicherung zu gelten hat. Erst in zweiter Linie hat es sich auf staatliche Strukturen zu richten.

Bereits 2010 hat die sogenannte ‚Venice Commission‘ des Europarates festgestellt, dass eine von der internationalen Staatengemeinschaft gegen den Willen der Bevölkerung von BIH (wenn auch nur de facto) Auflösung der beiden ‚Entitäten‘ von BIH unrealistisch zu sein scheint. Das sollte zu denken geben. Verbesserungswürdig sind die Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft und nicht vordergründige - keinesfalls sorgfältige und einvernehmlich ausgearbeitete – Korrekturen, die die Stabilität in der Region in Frage stellen würden.


‚Wrong from the Start‘

Politische Beobachter haben die Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft beim Konfliktmanagement hinsichtlich Ex-Jugoslawiens als ‚Wrong from the start‘ bezeichnet. Die politischen Maßnahmen und die zu Beginn inadäquaten Mandate für die militärischen Einsätze seit 1992 haben das wechselnde Engagement der internationalen Staatengemeinschaft deutlich gemacht. Ob es stets politische Erfolgsgeschichten waren, darf bezweifelt werden.

Man muss allerdings hinzufügen, dass diese Maßnahmen meist als polit-strategische ‚Fehleinschätzungen‘ registriert wurden, sich aber nicht immer auf die Implementierung der internationalen militärischen Operationen (‚on the ground‘) bezogen haben; auch nicht auf die meist erstklassige Arbeit z.B. der Internationalen Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen (UNHCR) oder auf die sehr erfolgreiche militärische und zivile Aufgabenerledigung der BIH Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSCE Mission to Bosnia and Herzegovina).

 Friedhof im n�rdlichen Teil von Sarajewo; Foto: Bundesheer/H.Pendl

Von 1992 bis 1995 befanden sich die bosnischen Serben, die moslemische und die kroatische Bevölkerung der Republik von Bosnien und Herzegowina (RBIH) de facto im Kriegszustand. Es kam dabei zu territorialen - ethisch begründeten - Gebietsansprächen. Vorangegangen waren die Bemühungen der serbischen Volksgruppe, die Unabhängigkeitsbestrebungen der moslemischen und kroatischen Volksgruppen in der Republik von Bosnien und Herzegowina (RBIH) von Rest-Jugoslawien im Jahre 1991 nicht zu akzeptieren. Am 9. Jänner 1992 wurde deshalb von der bosnisch-serbischen Versammlung die Republika Srpska ausgerufen. Am 6. März 1992 erklärte sich die RBIH (ohne Zustimmung der bosnischen Serben) unabhängig und wurde am 6. April 1992 von den USA und der Europäischen Gemeinschaft (EG) anerkannt. Seit diesem Zeitpunkt befanden sich die bosnischen Serben (Republika Srpska), die moslemische, und die kroatische Bevölkerung der RBIH de facto im Kriegszustand. Die 'Republika Srpska' – eine der beiden heutigen sogenannten ‚Entitäten‘ von Bosnien und Herzegowina - ist in der Folge, genauso wie die 'Föderation von Bosnhien und Herzegowina', ein verfassungsgemäßes Ergebnis des international verhandelten Daytonabkommens vom 14. Dezember 1995. 

Der grausam geführte Krieg mit mehr als 100.000 Toten und bis zu 2 Millionen Vertriebenen konnte trotz Präsenz von UN Truppen (UNPROFOR) erst mit dem Eingreifen der USA und mit dem umfangreichen Friedensvertrag von Dayton beendet werden.


Der Dayton Vertrag


Im Annex 4 der in Dayton vereinbarten Verfassung ist im Art. I Abs. 3 festgeschrieben, dass der früher Republik genannte Staat, nunmehr ohne dem Zusatz 'Republik'  als Bosnien und Herzegowina (BIH) zu führen ist und weiters nunmehr aus zwei ‚Entitäten’ bestehen solle, nämlich der 'Föderation von Bosnien und Herzegowina' (FBIH) und der 'Republika Srpska' (RS). Die Bezeichnung Entitäten lässt sich dahingehend interpretieren, dass man nicht recht wusste, ob man diese Teile von BIH als autonome Provinzen, als Bundesländer, oder als Länder einer Konföderation bezeichnen solle. Die unterschiedlichen Bezeichnunge der Entitäten als Föderation (FBIH) und Republik (RS) sind ebenfalls eigenartig und schaffen Unklarheiten und damit Konfliktstoff.

Der Konfliktstoff wird auch offenkundig, wenn man im Dayton Abkommen den Artikel III Abs. 2‚ Responsibilities of the Entities’ lit. (a); und (d) heranzieht, wo den Entitäten das Recht zugesprochen wird, spezielle parallele Beziehungen mit benachbarten Staaten aufzunehmen. Ebedort ist festgelegt, dass die Entitäten sogar Vereinbarungen mit anderen Staaten und internationalen Organisationen treffen können. Im September 2006 hat die Republika Srpska ein dementsprechendes Abkommen mit Serbien geschlossen, um die ökonomische und institutionelle Zusammenarbeit zu intensivieren. Zum Zwecke der stärkeren Manifestierung internationaler Beziehungen hat die Republika Srpska im Februar 2009 sogar ein Verbindungsbüro zur Europäischen Union (EU) in Brüssel eröffnet.

Bezüglich der zweiten Entität im hauptsächlich moslemisch - katholischen (bzw. bosniakisch – kroatischen) Teil von Bosnien und Herzegowina, der Föderation von Bosnien und Herzegowina (FBIH), ist der oben genannte Artikel III Abs. 2 natürlich ebenfalls gültig und bezieht sich de facto auf die noch vor Dayton unterzeichnete Vereinbarung von Washington im Jahre 1994 (‚Washington Agreement’). Damals wurde sogar eine mögliche Konföderation der FBIH mit der Republik Kroatien festgehalten.

Man darf sich also Treffen des Hohen Repr�sentanten Dr. Valentin Inzko mit dem religi�sen F�hrer der moslemischen Bosniaken, Reis-el-Ulema, Husein Kavazovic Foto: OHR über den Konfliktstoff der Divergenz der Entitäten nicht wundern. Das gilt sowohl für die internationale Staatengemeinschaft wie auch für die Akteure innerhalb der Entitäten, z.B. innerhalb der FBIH. Übrigens Spannungen, die u.a. darauf beruhen, dass die kroatische (überwiegend katholische) Volksgruppe keine eigene Entität bekommen hatte, dass auch die 1994 versprochene Konföderationslösung mit Kroatien durch Dayton (abgesehen vom Art. III Abs. 2) obsolet wurde und die internationale Staatengemeinschaft unsicher war, wie man die Volksgruppeninteressen in der FBIH erfolgreich koordinieren könne. Die Situation im Raum Mostar – mit ihren oftmaligen fehlgeschlagenen regionalen Regierungsbildungen zwischen dem kroatischen und dem bosniakischen Teil’ - zeigt auf, was passiert, wenn die internationale Staatengemeinschaft, ohne demokratische interethnische Vereinbarung, per Dekret, eine ‚gemeinsame’ lokale Regierung einsetzt.

Die Frage der Gemeinsamkeit oder der Divergenz beider Entitäten im Rahmen von Bosnien und Herzegowina (BIH) ist seit dem Dayton Abkommen das ‚große’ Thema für die weitere Entwicklung. Nicht nur das, auch die Frage einer Neuordnung in drei bis vier Entitäten besteht, und ist sogar aktuell. Grund ist auch der Wunsch der kroatischen Volksgruppe, das gleiche Recht auf eine eigene Entität zu haben, wie es die serbische Volksgruppe hat. Die vierte ‚Entität‘ sollte die gemeinsame Hauptstadt Sarajewo à la Washington D.C. sein.

Statt sich um die Strukturen des Staates mit den Politikern in Bosnien und Herzegowina zu streiten, hätte die internationale Staatengemeinschaft die bestehenden vereinbarten Strukturen, z.B. der bestehenden gesamtstaatlichen Präsidentschaft, der gemeinsamen Volksvertretung und der gemeinsamen gesamtstaatlichen Regierung, unter Einbeziehung der Entitätsregierungen nutzen und tatkräftigst unterstützen sollen, um die notwendigen ökonomischen und sozialen Maßnahmen zum Wohle der Bevölkerung zu erzielen.

Bemerkenswert ist die frühere Aussage des US Chefverhandlers für den Daytonvertrag, Richard Holbrook, der im Juni 1996 in einem Schreiben an den damaligen US Präsidenten Bill Clinton die Problematik der im Vertrag festgelegten Aufteilung (‚partition’), und der möglichen zukünftigen Aufteilung behandelte. Holbrook sprach von der Gefahr einer realen Möglichkeit einer weiteren Aufteilung Bosniens in drei Teile innerhalb weniger Jahre. Holbrook meinte zwar, dass sich die USA gegen eine solche weitere Aufteilung ausgesprochen habe, obwohl, wie er meinte, die nationalen Interessen der USA nicht direkt betroffen seien, ob nun Bosnien ein Land, oder zwei Länder, oder gar drei Länder darstelle. Wichtig war ihm aufzuzeigen, wie die umfassende Rolle der USA in der Zeit nach der Beendigung des Kalten Krieges vom Ergebnis der Entwicklung in Bosnien beeinflusst wäre.

Ganz wesentlich, und ein Kernpunkt für die Beurteilung der zukünftigen Entwicklung der Republika Srpska (und damit auch der Föderation von BIH, und natürlich auch des Gesamtstaates) ist die Frage der Verfassung. Der Versuch eine neue Verfassung im BIH-Parlament mit 2/3 Mehrheit ‚durchzubringen’, um damit der Zentralregierung mehr Macht einzuräumen, hat bisher – trotz intensivster Bemühung seitens der USA - fehlgeschlagen.

Mehr Macht für die Zentralregierung, hieße weniger Macht für die Entitäten, bis hin zu einer möglichen Auflösung der Entitäten. Eine Verfassungsänderung wärde natürlich das Kernstück des Dayton Abkommens betreffen, dessen Einhaltung stets zur Konsolidierung von BIH und des gesamten Balkans eingefordert und hoch gehalten wurde.

Eine Auflösung der Entitäten entspräche dem Wunsch von moslemischer (bosniakischer) Seite, die mehrfach die Existenz der Republika Srpska als die Existenz eines durch Genozid geschaffenen Gebildes bezeichnet. Für die bosnisch - serbische Seite hingegen ist das weitere Bestehen der Entitäten das im Dayton Vertrag erzielte Minimum an eigener Identität und Existenz. Jeder weitere verfassungs- und verwaltungsrechtliche Autoritätsverlust wird abgelehnt. Man verweist darauf, dass die internationale Staatengemeinschaft stets auf die strikte Einhaltung von Dayton gepocht und dies mit Hilfe der ‚Bonn Powers’ durch den Hohen Repräsentanten durchgesetzt hat. Wer ‚Dayton’ nicht einhielt wurde seiner bisherigen politischen Funktion durch den ‚Hohen Repräsentanten‘ enthoben.

Die Veröffentlichung der Ergebnisse der bisher zurückgehalten Verteilungen der Volksgruppen in der jüngsten Volkszählung (Census 2013), die Beibehaltung der Entitätsstruktur, und die Option auf ein Referendum (zur Unabhängigkeit) wären Forderungen der Republika Srpska. Aus bosnisch-serbischer Sicht ist ein Verbleib im weitgehend ‚ungeliebten’ politischen Rahmen von Bosnien und Herzegowina nur dann möglich, wenn die Republika Srpska in der derzeitigen Verfassungsform, mit (weitgehendst) ungeschmälerten Rechten bestehen bleiben kann. Im Falle einer von außen kommenden – einseitigen – Änderung wurde bereits einige Male auf die Option eines Unabhängigkeitsreferendums hingewiesen. Der Konflikt würde offen ausbrechen.

Die Versuche von internationaler Seite – insbesondere der USA – eine Verfassungsänderung durchzusetzen gehen bis heute weiter. Eine Beratergruppe der USA, die International Crisis Group (ICG), hatte vor wenigen Jahren das Ende der Funktion des ‚Hohen Repräsentanten’ mit Jahresende 2009 erhofft. Bis dahin sollte diese Funktion von einem starken Repräsentanten besetzt sein, wobei sie nicht an einen österreichischen Staatsmann oder Diplomaten dachte. Klarerweise war damals auch von der Aufgabe die Rede, die Verfassungsreform zu unterstützen, und die Sezession einer Entität zu verhindern. Die USA und die EU hatten ihre damaligen Verhandlungen mit den Volksgruppenvertretern und den bosnisch-herzegowinischen Parteien ohne Einbeziehung des ‚Hohen Repräsentanten‘, des österreichischen Spitzendiplomaten, Valentin Inzko geführt. Die Gespräche wurden auf internationaler Seite vom schwedischen Außenminister Carl Bildt geführt, begleitet vom EU Erweiterungskommissar Ollie Rehn und dem stellvertretenden Außenminister der USA, Jim Steinberg. Diese Gespräche endeten übrigens am 21. Oktober 2009, ohne eine Akzeptanz der Vorschläge der internationalen Staatengemeinschaft durch die bosnisch-herzegowinischen Vertreter zu erzielen.

Ein neuer Bürgerkrieg ?


Parallel mit den Gesprächen von 2009 wurde von moslemisch-bosniakischer Seite von einer sehr brisanten Situation im Lande gesprochen, die zum Ausbruch eines neuen Bürgerkrieges führen könne. Diese Befürchtung wurde allerdings bereits seit längerer Zeit geäußert, und hat als Ausgangspunkt die mehrfachen Aussagen des Ministerpräsidenten der Republika Srpska (RS) Milorad Dodik, dass man ein Referendum zur Unabhängigkeit der RS in Betracht ziehen würde, falls es zu einer Beeinträchtigung der Autorität und Integrität der Republika Srpska käme. Oftmals wiederholte Milorad Dodik, dass er ein ‚Legalist’ sei, der die geltende Verfassung laut Dayton Vertrag respektiere. Seine Priorität sei eine Republika Srpska innerhalb von Bosnien und Herzegowina’, ohne einer Druckausübung von außen und ohne erzwungene Verschiebung der Jurisdiktion der Entitäten hin zum Gesamtstaat. Seine Regierung würde das nicht dulden. Aber auf Grund der ständigen Druckausübung seitens der internationalen Staatengemeinschaft sprach er vor wenigen Tagen von Bosnien und Herzegowina als einem unglücklichen Land, dass nur mit einer Aufteilung in drei Teile zu retten wäre, damit die Bevölkerung friedlich leben könne.

Um die weitere Neuordnung im südosteuropäischen Raum in friedlichen Rahmen ablaufen zu lassen, sind nicht nur dieinternationalen und nationalstaatlichen Systembereiche zu regeln, sondern auch die Bedürfnisse der Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen! Vielmehr noch, das Hauptaugenmerk ist - als Grundlage von Lösungsmechanismen – zuerst auf die Bedürfnisse der Menschen in materieller und ideeller Hinsicht zu richten, und ihnen soziale, kulturelle, wirtschaftliche und militärische Sicherheiten in allen Lebensbereichen zu bieten.

Dr. Alfred C. Lugert: 1996/97 Stv. OSZE Regionaldirektor und Militärdiplomat; 2000-2002 Regionaldirektor und anschliessend Special Advisor zum OSZE Missionschef; 2005/06 Political Advisor bei der EUFOR Althea MNTF in BIH; Foto: EUFOR

Ein entsprechend hoher Grad von ökonomischer, sozialer und staatlicher Sicherheit ist anzustreben, dann ist die nachbarschaftliche Beziehung zu den jeweils anderen Volksgruppen wesentlich erleichtert. Es ist zu hoffen, dass es daher in der Folge um umsichtigere Lösungskonzepte sowohl seitens der internationalen Gemeinschaft, wie auch seitens der regionalen Entscheidungsträger geben wird. Für die Staaten Südosteuropas wäre dann eine akzeptierte und erfolgreiche friedlichen Koexistenz und Kooperation im Rahmen der Europäischen Union zu erwarten. Diese Wünsche und diese Erwartungslagen sind durchaus berechtigt.

Es kann allerdings auch anders kommen: ‚Sag niemals Nie’! Es ist daher die dringende Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft für ein wirkliches ‚safe and secure‘ environment‘ nicht nur in BIH sondern im gesamten süd-osteuropäischen Raum Süd-Osteuropa zu sorgen, um den Volksgruppen die ‚Angst‘ voreinander zu nehmen (ein wirkliches Friedensmodell). Der Schlüssel für alle Maßnahmen wäre die Förderung des wechselseitige Respekts zwischen den ‚international players‘ und den Akteuren in Süd-Osteuropa.

Dazu wäre der so oft gehörte und berechtigte Ruf nach tatkräftigster wirtschaftlicher Besserstellung und Entwicklung viel intensiver zu verfolgen als bisher. Wo bleibt die Weiterführung des Stabilitätspaktes? Denn die vielen Geld- und anderen Förderungsmittel scheinen nicht im vollen Ausmaß den lokalen Administrationen und der Bevölkerung selbst zu gute zu kommen. Hier bedarf es konsequenter Verteilungs- und persönlicher Fördermechanismen für Bosnien und Herzegowina. Mechanismen, die bis heute seitens der österreichisch-ungarischen Monarchie jedenfalls effizienter zu wirken scheinen als jene der Gegenwart, wie sogar ein (bosnisch) serbischer Regionalpolitiker einmal bei einer Besprechung mit diplomatischen und militärischen Vertretern der USA und Europas formulierte.

ACL

[Dr. Alfred C. Lugert: 1996/97 Stv. OSZE Regionaldirektor und Militärdiplomat; 2000-2002 Regionaldirektor und anschliessend Special Advisor zum OSZE Missionschef; 2005/06 Political Advisor bei der EUFOR Althea MNTF in BIH; Foto: EUFOR]


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