Die voranstehenden Zeilen könnten zwar heute geschrieben worden sein,
inhaltlich stammen sie aus einer Zeit vor 90 Jahren. Sie stammen aus
General Theodor Körner's Denkschrift über das Heerwesen der Republik,
Verlag des Militärverbandes, Wien 1924, Seite 16 (wir verdanken den
Hinweis einem bislang unveröffentlichten Aufsatz DDr. H. Pöchers; Wien,
2013).
Der österreichische Verteidigungsminister 2014 ist auf dem besten Weg,
den seines Amtsvorgängers fortzusetzen, um das Militär in einen Zustand
zu versetzen, der dem einstigen Befund General Körners über das
Bundesheer der Ersten Republik entspricht. Da hilft es auch nicht, wenn
er stets bemüht und schneidig erklärt, mit 180 Ideen zur Attraktivierung
des Rekrutenalltags gleich den Wehrdienst in seiner Gesamtheit zu
reformieren. Dafür bedarf es mehr. Und das ist gar nicht so sehr eine
Frage des Geldes.
Es ist toll, wenn die Grundausbildung attraktiver wird. Aber wenn der
Minister meint, dies wäre auch schon eine Wehrdienstreform, täuscht er
uns und auch sich selbst. Denn die Wehrpflicht ist mehr als eine
Grundausbildung, nach der die Grundwehrdiener (wohlmeinend als Lehrlinge
des Militärs zu bezeichnen) - kaum haben sie das Ausbildungsziel
erreicht - am Ende ihrer Ausbildung auch schon wieder entlassen werden
und sinnloser Weise in keiner weiteren militärischer Verwendung zur
Verfügung stehen.
Entlassen werden sie übrigens im krassen Gegensatz zum Gebot der
Bundesverfassung (Art. 79 Abs.1), die ein Bundesheer nach den
Grundsätzen der Miliz gebietet. Keines Heeres, das lediglich mit 16.000
Berufskadersoldaten 20.000 Rekruten pro Jahr ausbildet und sich damit
bloß selbst beschäftigt. Mit einer Wehrpflicht, die zum Selbstzweck zu
verkommen scheint und in dem Wehrpflichtige lediglich für ein paar Tage
„personelles Füllmaterial“ für einen Kaderrahmen hergeben, der aus
Berufssoldaten besteht.
„Präsente Kräfte“ nennt man das dann, an deren „Einsatzbereitschaft nicht gerüttelt werden darf!“ Hallo?
Ein Rechenmodell
Es ist leicht auszurechnen, wie alleine von der Mannstärke her bei
20.000 Wehrpflichtigen und sechs Monaten Wehrdienstzeit diese präsenten
Kräfte ausgestattet sind. 20.000, von denen man in Zukunft nur noch die
Hälfte in der Systemerhaltung verwenden will. Bleiben in unserem
Rechenexempel also maximal 10.000 Wehrpflichtige pro Jahr, die fär eine
ganz kurze, nur wenige Tage sogenannte mögliche Einsatzverwendung
ausgebildet werden (obwohl es fraglich ist, ob gerade zu diesem kurzen
Zeitraum ein tatsächlicher Bedarf für einen Einsatz des ÖBH vorhanden
sein wird.).

Aufgeteilt
auf durchschnittlich 10 Einrückungstermine bleiben dafür also 1.000
Rekruten pro Monat. In den sechs Monaten ihres Wehrdienstes werden diese
- sieht man z.B. von Hilfsdiensten wie Sandsackschlichten oder
Schneeschaufeln ab erst am Ende ihrer Wehrdienstzeit
„einsatzverwendungsfähig“. Kaum haben sie also das Ausbildungsziel
erreicht, werden sie auch schon entlassen. Im günstigsten Fall bilden
sie gemeinsam mit Berufssoldaten, die das ganze Jahr über den Rumpf der
Landstreitkräfte bilden, jeweils nach Einräückungstermin in einem
Organisationsrahmen (z.B. Bataillon) die Einsatztruppe als Stückwerk
eines Heeres. Und wenn es glückliche Umstände erlauben (z.B.
Betriebsmittel vorhanden sind) üben sie vielleicht sogar.
Erst mit „Befüllung“ durch Grundwehrdiener werden die
Organisationselemente der Landstreitkräfte zu einem militärischen
Verband, den man zumindest von der Mannesstärke als Bataillon bezeichnen
kann. 22 solche Bataillone sind es, die in den Landstreitkräften
allerdings nie gleichzeitig existieren, zumal es durchschnittlich zehn
Einrückungstermine gibt und die Rekruten zu unterschiedlichen
Zeitpunkten im Jahr - erst gegen Ende ihrer Ausbildung - die
Einsatzverwendungsfähigkeit erreichen.
(<< Graifk: www.bundesheer.at)
Voranstehendes Rechenexempel lässt die Sache noch besser erscheinen,
als sie in der Realität dasteht. Denn in den gerundeten Zahlen an
Wehrpflichtigen bleibt unberücksichtigt, wie viele von ihnen bei den
Unterstützungstruppen, Luftstreitkrften, Akademien und Schulen, Ämtern
und Behörden ihren Wehrpflicht leisten. Der Schein von der
Einsatzbereitschaft eines Heeres reduziert sich in diesem System auf die
maximale Leuchtkraft einer Kerze..
Noch schlimmer nicht wissen warum?
Aus dem heutigen Bedrohungsbild für Österreich lassen sich diverse
Einsatzszenarien für das Bundesheer ableiten. Diese wurden von Experten
auf den Tisch gelegt. Sie rechtfertigen in „keinster Weise“ die
Aufrechterhaltung eines Präsenzheeres (das im Grunde eigentlich nur ein
Ausbildungsbetrieb ist, aber als „einsatzbereite präsente Kraft“ vom
politisch Verantwortlichen und der Führungsriege der
Ministerialbürokratie so dargestellt wird). Schon gar keines solchen,
das für das, was es „aufbringt“, seine Aufrechterhaltung 70 Prozent des
Wehrbudgets für Personalkosten verschlingt und zu dem es weit
kostengünstigere Alternativen gibt.
Aus den Einsatzszenarien ist abzuleiten, dass im Bedarfsfall kein
Kaderrahmenbetrieb sondern aufwuchsfähige, gut aus- und weitergebildete
und wirklich einsatzfähige militärische Kräfte für ein Bedarfsheer
gebraucht werden. Aber eben erst für die im Bedarfsfall notwendigen
Einsätze , z.B. zum militärischen Schutz der eigenen Bevölkerung, zur
Sicherung kritischer Infrastruktur, zur Hilfeleistung nach oder bei
Katastrophen u.a.m.
Andere Staaten beweisen, dass diese Aufgaben mit Wehrpflichtigen zu
bewältigen sind. Mit Soldaten, die zunächst in vier Monaten zur
Fähigkeit der Erfüllung ihrer Einsatzaufgaben herangeführt werden.
Danach üben sie zwei Monate in militärischen Milizeinheiten und stehen
für Einsätze bereit. Regional rekrutiert, regional organisiert und
ebenso regional geführt. Aus Talschaften oder Verwaltungsbezirken
kommend. Und im Bedarfsfall in Dienst gestellt oder „mobilisiert“.
Eine darauf abzielende Ausbildung ließe wehrdienstwillige
Jungerwachsene auch den Sinn ihres Dienstes an der Gesellschaft viel
leichter erfassen. Im derzeitigen System des „Auffüllens von
Rumpfverbänden“, in denen sie für einen wohl kaum stattfinden
Schießkrieg ausgebildet werden und für wenige Tage ihrer Wehrdienstzeit
„einsatzbereite Präsenz“ zeigen, darf dies bezweifelt werden.
Bleibt es, wie es ist, wird das Heer nicht bleiben

Das derzeitige System eines Kaderpräsenzheeres stammt aus der Zeit des
Kalten Krieges. Wehrpflichtige wurden einst drei Monate lang
„grundausgebildet“ und danach zu Truppenteilen in Einsatzverbände
versetzt, wo sie sechs Monate lang dienten. Ein Wahlschlager des Jahres
1970 in Verbindung mit großer Unzufriedenheit in Sachen Wehrdienst hat
damals zur Verkürzung der Wehrdienstzeit geführt. Die Wehrpflicht blieb
erhalten, die Dienstzeit wurde realiter um 14 Tage verkürzt. Spannocchi
und Co. „erfanden“ damals die Raumverteidigung und „entdeckten“ das
Prinzip der Miliz. Das damalige Heer erfreute sich ob dieser glaubhaft
vertretenen Grundsätze höchster Akzeptanz. (Bild: www.bundesheer.at
>>)
Der Kalte Krieg ist längst zu Ende und die Erfordernisse für
militärische Kräfte haben sich dramatisch gewandelt. Heute gilt es nicht
mehr, die Bereitschaft zu demonstrieren „den Raum zu verteidigen“ und
die Dissuasion als strategisches Ziel zu verfolgen. Der Begriff des
Raumes hat dennoch seine Bedeutung erhalten. Sie hat sich allerdings
gewandelt und ihre Bedeutung liegt heute auf dem Lebensraum unserer
Bevölkerung mit all seinen Einrichtungen für ein Leben in relativem
Wohlstand. Mit sogenannter „kritischer Infrastruktur“ teilweise nicht
nur für uns in Österreich sondern auch für Europa.
Will das Heer nicht zum Selbstzweck eines Ausbildungsbetriebs
verkommen, in dem die Wehrpflichtigen eigentlich nie Wehrdienst leisten,
gilt es, mit Blick auf den Einsatz im zukünftigen Bedarfsfall (nicht
auf den unwahrscheinlichen der Gegenwart) das sich auf die Wehrpflicht
stützende derzeitige „System Bundesheer“ glaubhaft zu verändern.
Resümee
Geschieht dies nicht, bleibt zwar die Wehrpflicht bis zum nächsten
politischen Zuruf „in Stein gemeißelt“, sie erfährt in der derzeitigen
Organisation jedoch kaum Sinngehalt. Eher lässt sie das derzeitige
„System Bundesheer“ zum Perpetuum mobile militaris verkommen und
verhindert geradezu dessen Aufwuchs eines Heeres für den Bedarfsfall.
Dies wird irgendwann auch der Steuerzahler (und Wähler) erkennen, wobei
die Prognose nach kaum steigenden Wehrbudgets kein Wagnis darstellt und
wohl jede Alternative zum billigsten Wehrsystem der Welt nicht einmal
mehr angedacht werden muss.
Der Verteidigungsminister hat bei seiner Bestellung durch den
Bundespräsidenten gelobt, in seiner Amtsführung die Gesetze der Republik
getreulich zu beachten. Reform der Grundausbildung macht noch lange
keine Reform des Wehrdienstes es wäre höchste Zeit, endlich diese Reform
anzugehen. Eine Reform, die nicht nur dem Bedarf entspricht, sondern
auch dem Auftrag des Verfassungsgesetzgebers nachkommt. Noch lebt die
Chance hierzu.
Wird sie nicht ergriffen, wird wohl - der einstigen Bewertung General
Körners entsprechend - das was zurückbleibt und Bundesheer heißt, ein
sich für Paraden und Ausrückungen vorbereitender Verein bleiben, der in
der Tradition der Vergangenheit lebt, sich Luftschlössern hingibt und
die Öffentlichkeit über die traurige Wirklichkeit hinwegtäuscht. Dass
dabei sich vielleicht noch zwei Minister ein Scheingefecht um die
Entscheidungsbefugnis für eine Auslandsentsendung von einem Dutzend
Angehöriger eines solchen Vereins liefern, wäre aus aktuellem Anlass zu
ergänzen. MG