Innere und äußere Sicherheit sind Kernaufgaben des Staates. Ein Blick in unsere Bundesverfassung schafft entsprechende Klarheit, denn darin werden nicht nur die Kompetenzen geregelt, sondern es sind auch klare Aufträge abzuleiten. Der Auftrag verlangt, dass das Bundesheer neben der militärischen Landesverteidigung auch zur Erfüllung anderer Aufgaben bestimmt ist: über den Bereich der militärischen Landesverteidigung hinaus auch zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit sowie der demokratischen Freiheiten seiner Einwohner, zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren überhaupt und zur Hilfeleistung bei Elementarereignissen und Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfangs. Weiteres – nicht Vorrangiges – wird durch Bundesverfassungsgesetze geregelt.
Der
Souverän, also die österreichische Bevölkerung
– der Inhaber der Staatsgewalt - hat
durch seine Vertretung in der höchsten Rechtsnorm
unseres Gemeinwesens bestimmt, wie
das Bundesheer aufzustellen ist. Unmissverständlich heißt es: Das
Bundesheer ist nach den Grundsätzen eines Milizsystems einzurichten. Nicht milizartig, -ähnlich und schon gar nicht als Rahmenheer mit Berufssoldaten, wie das derzeit der Fall ist!
Kommt jetzt endlich eine wirkliche Reform?
In der Folge des Volksentscheids wurde eine Reform der Wehrpflicht angekündigt, von der nicht einmal die vollmundig verkündete Realisierung von Attraktivierungsmaßnahmen für die Grundausbildung in Angriff genommen wurde. Angesichts der Einsparungen in den Verteidigungsbudgets der nächsten zwei Jahre hat der Bundesminister für Landesverteidigung wieder einmal den „Generalstab“ beauftragt, „ohne Tabus“ Vorschläge für eine Reform zu erarbeiten. Ja noch mehr: Er hat erkannt, dass dieses Heer mit der gegebenen Struktur nicht finanzierbar ist. Und „sein Generalstab“ arbeitet bereits an einer neuen Struktur. Orientiert „nach Einsatzwahrscheinlichkeiten und Aufgabenprioritäten“ solle dies erfolgen. War das denn bislang nicht der Fall? Dass dabei personelle Strukturen zum Tragen kommen, die sich in der Vergangenheit stets für ein Berufsheer stark machten, stimmt zumindest nachdenklich.
Ob
hier
etwas erfolgt ist, was man eine verteidigungspolitische Vorgabe des
Ministers
oder gar des Bundeskanzlers (schließlich ist Landesverteidigung eine
Querschnittsmaterie) nennen könnte, ist nicht nachvollziehbar. Der
Minister
spricht stets stereotyp: „Ich habe unverzüglich den Generalstab
beauftragt!“
So, als läge es in dessen Kompetenz, die grundsätzliche Struktur und
Prioritäten festzulegen. So, als gäbe es keinen Nationalen
Sicherheitsrat oder
einen Gesetzgeber, dessen Aufträge umzusetzen wären. Und die liegen
einschließlich der Organisationsform des Heeres – nach den Grundsätzen
eines
Milizsystems wie es bekanntlich im Bundesverfassungsgesetz heißt – klar
auf dem
Tisch. Diese gilt es umzusetzen und in Entsprechung der politischen
Vorgabe hätte unter steter Kontrolle des Parlaments der Generalstab als
Gehilfe der Ressortführung entsprechende Vorschläge zur Umsetzung zu
erarbeiten. Aber bei uns entwirft dieser Grundlagenpapiere, die auf
höherer Ebene auszuarbeiten wären.
Seit
Jahrzehnten scheitert die Umsetzung von Reformpapieren am politischen
Realitätssinn seiner Verfasser - kombiniert mit mangelndem Willen der
Regierenden. Die Zahl der angekündigten "Reformen" scheint zumindest
europarekordverdächtig. Allesamt waren Reformvorschläge, die sehr oft
von nicht besonders interessierten Ressortverantwortlichen (stets auf
Mehrheiten
bei in diesem Land ständig irgendwo stattfindenden Wahlen schielend) als
„umzusetzender
Auftrag“ abgefertigt wurden. Stets nur bis zu den nächsten Wahlen
vorausdenkend - nie bis zum Ende der Umsetzung durchdacht. Herausragend
dabei: Die Bundesheerreformkommission 2010 mit ihren versteckten
Vorstellungen von einem in die NATO integrierten Berufsheer, Forderungen
in Milliardenhöhe ohne Chance auf budgetäre Wirklichkeit - noch dazu im
krassen Gegensatz zum Auftrag des Souveräns. Mit der Präsentation des
Berichts eines Papiers ohne jede politische Verbindlichkeit haben
"vorauseilend Gehorsame" begonnen, gegen das Verfassungsgebot die
Wehrpflichtmiliz zu demontieren.
Das
Ergebnis ist ein Bundesheer, das selbst für den nicht besonders
interessierten Bürger als "Komapatient auf dem Totenbett" erkennbar ist.
Das „Heer“ der Gegenwart
Das Heer der
Gegenwart besteht aus einem riesigen ministeriellen Verwaltungsapparat, einer
übergroßen Zahl an Kommanden,
jeder Menge Akademien und Schulen und zahlreichen Ämtern. Ein Verwaltungsapparat,
in dem sich der überwiegende Anteil der rund 16.200 Berufsmilitärs
„eingenistet“ hat.
Es besteht weiters aus über 20 Bataillonen der Landstreitkräfte (zumindet auf dem Papier), Unterstützungstruppen, Logistikzentren und Sondereinheiten. Dazu kommen zehn auf dem Papier bestehende Milizbataillone. Das, obwohl der Gesetzgeber den Grundsatzes der Miliz für das gesamte Bundesheer vorschreibt. In diesen Milizbataillonen ist die personelle Befüllung mehr als ungenügend. Kaderfunktionen sind nur bei den Offiziersstellen besetzt, bei den Unteroffizieren laufen bald die letzten Verpflichtungserklärungen für Kaderübungen aus und Mannschaftsdienstgrade sind praktisch nicht vorhanden, da sich die Freiwilligenmeldungen in mehr als überschaubaren Grenzen halten.
Keines
der Milizbataillone besitzt die entsprechende Grundausrüstung.
Selbstredend
auch keine Transportfahrzeuge. Betroffene Milizsoldaten schildern das,
was sich vor einer Übung eines Milizbataillons abspielt, als
unglaublich. Es werden Gerätschaften, Fahrzeuge, Computer u.v.a.m. aus
ganz Österreich zusammengekarrt, damit auch nur ein einziges Bataillon
üben kann. Wer wagt es da, gar an einen Einsatz zu denken?
Die so ausgestattete übende Truppe wird dann Besuchern aus Politik, Medien und interessierter Öffentlichkeit als Teil des Grundsatzes „nach dem Milizprinzip“ dargestellt. Die tollen Heerführer einer solchen Übung lügen sich quasi in den eigenen Sack. Jeder Besucher einer solchen Übung verlässt deren Schauplatz im Bewusstsein, es wäre doch alles bestens. Dabei ist es, trotz ehrlichen und verzweifelten Bemühens des Kaders lediglich „Flickwerk“. Es ist vorgetäuschter Teil eines Ganzen, das man allerdings nie zu Gesicht kriegen kann, selbst wenn man wollte - weil es dieses Ganze nicht gibt.
Dass der gesetzliche Auftrag (nach den Grundsätzen eines Milizsystems) nicht einmal in Ansätzen erfüllt wird, bleibt unbemerkt. Mehr als 20 (personell schwach besetzte und fallweise mit erst auszubildenden Rekruten ergänzte) Bataillone des „stehenden Heeres“ stehen 10 in der Realität praktisch nicht existierenden Milizbataillonen "gegenüber". Ein Heer, an dessen „Einsatzbereitschaft nicht gerüttelt werden darf“, so der Minister. Ein Minister, der es trotz parlamentarischer Anfragen nicht der Mühe wert findet, einen vom Gesetzgeber her vorgeschriebenen Milizbeauftragten einzuteilen. Findet er keinen? Hat ihn „sein Generalstab“ etwa gar „angewiesen“, keinen zu finden? Will er das Prinzip der Miliz abschaffen?
Will er
ein "stehendes Heer“, wo es keine akute konventionelle Bedrohung gibt?
Will er vielleicht an einem unfinanzierbaren Präsenzheer, das maximal mit
auszubildenden militärischen Lehrlingen befüllt wird, festhalten? Weiß er denn nicht, dass
wir statt einem teuren stehenden Heer ein Bedarfsheer benötigen, das entsprechend als
Miliz auf Einsatzszenarien vorbereitet ist und erst dann in Dienst gestellt wird, wenn es gebraucht wird?
Der „Luxus“ des derzeitigen Präsenzheeres, der heute mit Personalkosten über 70 Prozent des Wehrbudgets verschlingt, lässt gerade noch und eingeschränkt Mittel für den laufenden Betrieb und Ratentilgungen zu. Investitionen haben in diesem System keine finanzielle Bedeckung.
Priorität Auslandseinsätze
„Es wären die Auslandseinsätze voran zu stellen“, ist während der Reformvorarbeiten bereits herauszuhören. Zieht man einen Vergleich mit anderen europäischen Staaten, ist festzustellen, dass Österreich als neutraler Kleinstaat mit 1.000 Soldaten in Relation zu seiner Bevölkerung und selbst zur Zahl verfügbarer Gewehrträger wesentlich mehr Soldaten für Einsätze im Ausland stellt, als andere europäische Staaten. Dies als Land, das am Schluss der Statistiken über Wehretats liegt (25. Stelle von 27 europäischen Staaten). So sind im Juni 2014 etwa 4.700 deutsche Soldaten (beim Zehnfachen der Einwohnerzahl) weltweit unterwegs, Belgien unterbietet gar die Zahl 600, Ungarn stellt stolze 800 und Polen bei 38,5 Millionen Einwohnern (noch) 2.600 Soldaten bei ISAF und ca. 500 im Rahmen von UN, NATO oder EU-Missionen. Die neutrale Schweiz, eines der reichsten Länder der Welt, liegt übrigens bei knapp unter 300 Soldaten.
Das österreichische Engagement ist also gemessen an der Stärke der Kontingente mehr als überproportional. Gemessen am Wehrbudget und dringend Notwendigem im Inland, wo es gilt, für die vom Verfassungsgesetzgeber gebotenen Anlassfälle in Entsprechung einer militärischen Reaktion für realistische Einsatzszenarien vorbereitet zu sein, ist dies mehr als bedenklich.
Vor
allem
dann, wenn es im Zuge der Reformvorschläge zu den voranstehend genannten
Prioritäten kommt. Denn aus heutiger
Sicht ergeben sich kaum Erwartungen für eine Änderung der Gewichtung der
Aufgaben des Gesetzgebers. Schließlich ergeben sich doch mit wachsender
Zahl
der Auslandsaufgaben auch attraktive Verwendungen für die Angehörigen
jener
Personengruppe, der die Ausarbeitung von Reformvorschlägen angeordnet
wurde.
Die Geschichte zeigt, dass hier stets Standespolitik und kaum
Sachpolitik für
die Notwendigkeit eines Bedarfsheeres gemacht wurde. Warum sollte sich
das ändern, wenn man bei den Reformgewinnern dabei sein kann?
Die Lösung aus dem Desaster
Dazu muss man sich im Klaren sein, wozu Österreich militärische Streitkräfte, das Bundesheer, wirklich braucht. Es ist weitgehend unstrittig, dass man – auf Österreich bezogen - mit entsprechender Vorsicht militärisch von einer geringfügigen Bedrohungslage sprechen kann. Von der Liste der wesentlichen Einsatzszenarien für das Bundesheer sind nur die Luftraumüberwachung, die Tätigkeiten der militärischen Nachrichtendienste, das Ausrücken der Garde und die jeweiligen Auslandseinsätze aktuell.
Alle anderen Einsatzszenarien fallen in den Bereich der Vorbereitung und der Ausbildung für den Bedarfsfall. Am besten mit einer Wiedereinführung der Wehrpflichtdauer von 6 + 2 Monaten (wie es vor der Platter‘schen Reformkommission gültig war). Sollte dies kurzfristig ‚politisch‘ nicht möglich sein, bedarf es einer neu konzipierten Aufteilung der vorhandenen 6 Monate in sinnvoller Weise - und wie in der Schweiz erfolgreich durchgeführt - mit 4 Monaten Grundausbildung und nachgestaffelt 2 Monate in jährlichen Übungen für die nachfolgenden 10 Jahre.
Die sich daraus ergebenden, ausreichend großen Bedarfskräfte des Milizsystems sind hinsichtlich des Finanzierungsrahmens der Schlüssel zur weit ökonomischeren Lösung. Sinnvoller Weise braucht man zusätzlich auch eine – allerdings entsprechend kleinere - Berufskomponente zur Unterstützung der Milizarmee bei der Führung, der Administration und der Ausbildung.
Schon jetzt sind die Personalkosten der militärischen Beamtenebene (Berufssoldaten) viel zu hoch. Wir können uns auch finanziell das derzeitige System nicht leisten. Warum soll man auch einen Soldaten 365 Tage im Jahr besolden, wenn man ihn im Schnitt nur für rund 10 Tage Wehrpflichtübung pro Jahr zur einsatzorientierten Weiterbildung für den Bedarfsfall braucht. Das entsprechende Milizkader (Offiziere und Unteroffiziere) würde natürlich mit zusätzlicher Freiwilligkeit üben bzw. die Übungen leiten.
JETZT ist die Politik gefordert!
Seit rund zehn Jahren sehen verantwortliche Politiker tatenlos dem
Verfall des Heeres zu. Sie lassen – zumal meist mit der Materie überfordert –
eine Clique aus der Mischung von Gewerkschaftsfunktionären und uniformierten
Beamten der höheren Ebene (Anm.: besonders schlimm wird es, wenn dies in
Personalunion zum Tragen kommt) oligopolartig nicht nur beraten, sondern auch
schalten und walten. Zumeist ohne politische Vorgabe, wobei es bereits zum
Grundsatz geworden scheint, dass das, was die Bundesverfassung gebietet,
ganz offensichtlich missachtet wird.
Jetzt
liegt das Produkt einer verfehlten Politik, die stets
Standespolitik für eine kleine Gruppe war, auf dem Totenbett. Darin ist
aber
die Chance zu erblicken, Neues entstehen zu lassen. Von vielen
herbeigesehnte
EU-Streitkräfte mögen - vielleicht - in 15 bis 20 Jahren aufgebaut
werden. Mag
sein, dass man dann auch in Österreich daran gehen wird, die Neutralität
abzuschaffen und sich an einer Bündnisarmee zu beteiligen. Doch selbst
dann gilt es, für die Hausaufgaben gewappnet zu sein und dabei die
kostengünstigste Lösung zu
realisieren: Ein Heer nach den Grundsätzen eines Milizsystems.
Wenn auch einst der Verfassungsgesetzgeber dies unter anderen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen festgelegt haben mag, so entspricht er genau dem, was wir in Zeiten gewandelter Bedrohungen und Einsatzszenarien brauchen. Denn wer braucht schon das, was jetzt als „Heer präsenter Kräfte“ bezeichnet wird, mit einem Rahmen aus 16.200 Berufssoldaten, der jeweils für sechs Monate im Jahr mit auszubildenden Grundwehrdienern aufgefüllt wird, deren Einsatz vor ihrer Einsatzreife wohl zumindest fahrlässig wäre.
Viel ist in Regierung und Parlament von einem notwendigen Strukturwandel die Rede. Beim Bundesheer gebietet es nach zehn Jahren leeren Geredes und tatenlosen Gejammers jetzt die Notwendigkeit, damit zu beginnen – sofort, ehe es zu spät ist!
MG und ACL (SGSP)