Krieg scheint seit dem Fall
des Eisernen Vorhangs aus unseren Gehirnen verbannt. Und weil es ihn nicht mehr
gibt, darf man ihn auch nicht mehr so nennen. Wenn man's tut, ist man - so
meint es Peter Schneider wie o.a. - ist man ein Ewiggestriger. Wie recht er doch
hat.
Es ist gar nicht so lange her, dass sich auf dem Territorium der Ukraine weltweit das drittgrößte Atomwaffenarsenal befand – so viele Kernwaffen wie in Großbritannien, Frankreich und China zusammen. Mit dem Zerfall der Sowjetunion war das Land plötzlich zur Atommacht geworden – ein Zustand, der 1994 im Memorandum von Budapest vertraglich beendet wurde.
Gleich in dessen Artikel 1 verpflichteten sich die USA, Großbritannien und Russland, als Gegenleistung für einen Nuklearwaffenverzicht der ehemaligen Sowjetrepublik, deren bestehende Grenzen samt politischer und wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu achten. Das war ein nicht nur vermeintlich bedeutender Schritt für die Ukraine, bildete diese Vereinbarung doch die Voraussetzung für den Atomwaffensperrvertrag und Atomteststopps.
Aber zeigen gut 20 Jahre später die Ereignisse auf der Krim durch die russische Annexion denn nicht, dass derartige Erklärungen mitunter das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen? Was zählen Verträge, was zählt das Völkerrecht?
In der sogenannten öffentlichen Meinung wird – im Gegensatz zur veröffentlichten – zunehmend Verständnis für die Linie Russlands geäußert. Im geostrategischen Match um den Preis des Machtvakuums Ukraine, ausgetragen zwischen den Mannschaften Washingtons (verstärkt mit nicht ganz eingespielten Akteuren Brüssels) und Moskaus zeigt man immer häufiger Verständnis für so manches grobe Foul des russischen Spielführers.
Sind die Erfahrungen mit einem aufwendigen, aber vergeblich geführten Krieg des Westens in Afghanistan oder die Rechtfertigung des Irak-Krieges (die sich letztlich als Betrug herausstellte) ein Grund dafür, über einen glatten Völkerrechtsbruch hinwegzusehen? Sind es die Enthüllungen Edward Snowdens, der pikanterweise in Moskau Asyl genießt, die Zweifel an der Ehrlichkeit aufkommen lassen, mit dem Export von „westlichen Werten“ Interessen durchsetzen zu wollen? Wird hier mit der Sehnsucht von Menschen gespielt, die sich dringend eine Anhebung des Lebensstandards wünschen und dies ganz eng mit einer Orientierung nach Westen verknüpfen?
Wer je in der Ukraine außerhalb der Villen reicher Oligarchen auch nur ein paar Tage verbracht hat, weiß, wovon die Rede ist. Lebensumstände, die in Österreich als menschenunwürdig bezeichnet werden, gelten mitunter aus ukrainischer Sicht als paradiesisch.
Auch in Österreich ist immer lauter zu vernehmen, sich ja in der Ukraine-Krise nicht einzumischen. Schließlich macht man mit Russland gute Geschäfte. Eines der einheimischen Ski-Idole ist sogar mit Wladimir Putin befreundet, und ein Kammerpräsident hat erklärt, ohne dabei zu erröten, dass zwar Sanktionen der EU und der USA gegen Russland verständlich und notwendig wären, aber die heimische Wirtschaft dafür nicht zur Verfügung stehe.
Selbst in Bündnissystemen darf für jeden Staat angenommen werden, zumindest im unteren Bereich der Bedrohungsskala seine Hausaufgaben zu erledigen, wiewohl es freilich bequem wäre, diese Erledigung an andere (an wen?) zu delegieren und sich im „politischen Lehnstuhl“ auf die Beobachterrolle zu beschränken. Nicht umsonst gibt es etwa im westlichen Verteidigungsbündnis Nato auch Mindestrichtlinien für militärische Budgetansätze (einheimischen Nato-Befürwortern sei ins Stammbuch geschrieben: das Dreifache der österreichischen Verteidigungsausgaben).
Angesichts neuer Konfliktformen (beispielsweise asymmetrischer) kommt der Aufrechterhaltung des staatlichen Gewaltmonopols für Einsätze im Inneren eine besondere Rolle zu. Dieses scheint in der Ukraine verloren gegangen.
Es geht um eine höchst aktuelle und existente Bedrohung, die angetan ist, das ukrainische Staatsgefüge zu destabilisieren oder gar völlig zu lähmen – möglicherweise bis hin zum offenen Bürgerkrieg. Möglicherweise hin zu einem Krieg also, in dem Russland zum Schutz russischer Reisepassbesitzer schließlich eingreifen „muss“.
Eine kleine Truppe, selbst wenn sie hochprofessionell ist, reicht wegen der benötigten großen Zahl an Ordnungskräften nicht aus. Besonders dann nicht, wenn es an mehreren Stellen gleichzeitig brennt. Was gebraucht wird, ist eine große Anzahl von Soldaten – „many boots on the ground“.
Österreich befindet sich in der glücklichen Lage, seit vielen Jahren keiner konventionellen militärischen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Im nicht konventionellen Bereich sieht dies freilich anders aus. Aus diesem Gefahrenpotenzial sind Einsatzszenarien abzuleiten, die fast allesamt ergeben, dass es geradezu anachronistisch ist, ein Präsenzheer aus 16.000 Berufssoldaten und 20.000 Auszubildenden (pro Jahr) zu unterhalten, wobei letztere unmittelbar nach Erreichen des Ausbildungszieles stets entlassen werden.
Wir haben kein Heer, sondern nur das Stückwerk eines solchen: ein auf zehn Einrückungstermine verteiltes Perpetuum mobile militaris, dessen oberster Zweck die Beschäftigung des Ausbildungspersonals zu sein scheint.